Biographie von Isolde Kurz.

Aus dem Buch "Sie schreiben wie ein Mann, Madame!" von Norgard Kohlhagen.
(erschienen im Allitera Verlag 2001)

 

Es sind bittere, böse Sätze, die die Schriftstellerin Isolde Kurz über die Rolle der deutschen Frau in der Literatur und der Gesellschaft äußert. Sie schreibt: »Kein anderes modernes Kulturvolk hat ein so niedriges, nur auf Unterdrückung der Persönlichkeit beruhendes Frauenideal geschaffen wie das deutsche.« Und auch diese Überlegungen stammen von ihr: »Kaum dürfte je die Frau in Deutschland niedriger gestanden haben als im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts, in das meine Jugend fiel. Daß es eine Bettina, eine Karoline Schlegel, eine Günderrode gegeben hat, Frauen, von denen ihre Zeit, die ja auch die Zeit Goethes war, die Färbung mit empfing, das wirkte nicht mehr nach...«

Andererseits preist die Autorin in einem 650 Seiten dicken Roman (»Vanadis. Der Schicksalsweg einer Frau«) Verzicht und Entsagung als die höchsten Tugenden einer Frau und schildert sich selbst in ihrer Biographie als »verbissenen Frauenverächter«. Widersprüche über Widersprüche...

Isolde Kurz, geboren 1853, ist Tochter des Schriftstellers Hermann Kurz. Ihre Mutter - Mane Kurz - entstammte der alten aristokratischen Familie von Brunnow. Doch sie lehnte den Adelstitel ab, nannte sich »Bürgerin Brunnow«, war eine glühende Kämpferin während der Revolution von 1848 und heiratete gegen den Rat ihrer Familie den armen Poeten Kurz. Fünf Kinder wurden in dieser Ehe geboren: Isolde und die Brüder Edgar, Erwin, Alfred und Balde. Als Isolde neun war, zog die Familie nach Tübingen, wo Hermann Kurz eine Stelle als Bibliothekar bekam. Vor diesem Hintergrund müssen wir uns die Jugendjahre der Isolde Kurz vorstellen: Der Vater, von ihr als »Genie« verehrt, hat wenig Zeit für die Kinder; denn als Dichter muß er von Alltagslärm und Alltagsproblemen abgeschirmt werden. Die lebhafte, unkonventionelle Mutter kümmert sich um die Erziehung der Sprößlinge. Allerdings: nur so lange, bis die Schulzeit beginnt. Und die beginnt nur für die Söhne der Familie. Isolde, ein hochbegabtes Mädchen, wird zu Hause von der Mutter unterrichtet. Ganz ohne Methode und Stundenplan, immer dann, wenn die häuslichen Arbeiten dazu Zeit lassen. Griechische Sagen, Französisch, Italienisch, Latein, Uhland-Balladen, Schiller-Dramen - von allem bekommt die junge Isolde Bruchstücke mit, und manches eignet sie sich an, wenn sie die Brüder aus der Schule erzählen hört. »Eine Pflicht zur Ausbildung der Töchter kannte weder der Staat noch die Familie«, schreibt Isolde Kurz in ihren Lebenserinnerungen. Und weiter: »In den bürgerlichen Kreisen, auch in den gebildeten, soweit sie nicht wohlhabend waren, begnügte man sich oft genug damit, ihnen die häuslichen Arbeiten beizubringen und sie zu unbezahlten Dienstmädchen heranzuziehen, besonders wenn das Studium der Söhne die elterlichen Mittel erschöpfte.« An einer anderen Stelle, als sie im Alter von über achtzig Jahren auf ihr Leben zurückblickt (in ihrer Biographie »Pilgerfahrt nach dem Unerreichlichen«, macht sie sich selbst klar, daß sie im falschen Jahrzehnt zur Welt gekommen sei.

Tatsächlich klafften in jenen Jahren, als Isolde Kurz und ihre Brüder aufwuchsen, die Bildungsmöglichkeiten der Mädchen und Jungen extrem weit auseinander. Für Jungen bemühte sich der Staat um eine Neu-Organisation des »Knabenschulwesens« mit festen Lehrplänen und einem Examen, das zur Hochschulreife berechtigte. Mädchen konnten allenfalls private höhere »Töchterschulen« besuchen. Und worauf wurden sie dort vorbereitet: »Der ehrwürdige Beruf der Frau besteht darin, beglückende Gattinnen, bildende Mütter und weise Vorsteherinnen des inneren Hauswesens zu sein.« Diese grundsätzliche Feststellung des Schulrates J. H. Campe, der im vorigen Jahrhundert mit zu den Erneuerern des Schulwesens gehörte, galt auch für eine Isolde Kurz. Es ist wichtig, sich das klarzumachen, um Zwiespalt und Widerspruch in ihrer Dichtung zu verstehen.

Eine stolze Außenseiterin, die mit ihren Geschlechtsgenossinnen nichts gemeinsam hat - so sah sich die Schriftstellerin schon als junges Mädchen. Nie, so berichtet sie, besuchte sie »Frauengesellschaften«, weil sie den »weiblichen Ungeist« verabscheute. Und umgekehrt: Nie wurde sie zu Vergnügungen außer Haus eingeladen, weil sie den braven Bürgern und Bürgerinnen im schwäbischen Tübingen äußerst suspekt war.

Denn: Was ist von einem Mädchen zu halten, das sich nicht nach der Mode kleidet, das nie die Kirche besucht und sich gegen die »Konkurrenz auf dem Heiratsmarkt« wehrt, das klassische Sprachen lernt und sich an den Senat der Stadt mit einem unerhörten, ja unsittlichen Anliegen gewandt hat? Hat sie doch tatsächlich darum gebeten, Damen einmal in der Woche Einlaß in der akademischen Schwimmschule zu gewähren. Selbstverständlich wird dieser Antrag abgewiesen. Vor allem die Frauenwelt hat auf ihre Bitte entrüstet reagiert. Statt dessen setzt die Außenseiterin es durch, reiten zu lernen. »Eine Dame zu Pferde« - diesen Anblick erspart Isolde Kurz den Tübingern nicht. Sie muß dafür büßen. »Vom Gemeinderat bis zur Gassenjugend hinunter«, so erlebte sie es in ihrer Jugend, »führte eine ganze Stadt Kleinkrieg gegen mich.«

Kinder auf der Straße werfen Steine nach ihr und beschimpfen sie als »Hexen-« und »Heidenkind«. Wohlerzogene Töchter meiden den Umgang mit ihr. Sie gewöhnt sich daran, die »feindselige Außenwelt« nicht wahrzunehmen. Je stärker der Druck von außen wird, desto intensiver wird ihr ihre Andersartigkeit bewußt. Wenn sie später Frauen beschreibt, die »zu gut für den Alltag der Ehe« sind, meint sie mit Sicherheit - sich selbst damit.

Als Neunzehnjährige verliert sie ihren Vater. Die Tochter ist tief gekränkt, daß Tübingen den Dichter Hermann Kurz nicht so ehrt, wie er es ihrer Meinung nach verdient. Also übernimmt sie diese Aufgabe. Gerade ist sie dabei, zum erstenmal eigenes Geld zu verdienen. Sie hat für die »Wiener Neue Freie Presse« einen Roman aus dem Italienischen übersetzt und dafür tausend österreichische Gulden bekommen. Von diesem Geld läßt sie ihrem Vater auf dem Tübinger Friedhof ein hochragendes Denkmal errichten. Anschließend verläßt sie die Stadt und geht nach München, um sich ein eigenes Leben aufzubauen: »Mich verlangte nicht nach Geborgensein, nicht einmal nach dem landläufigen >Glücklichwerden<. Ich wollte mich selber erfüllen bis zur letzten Möglichkeit, sei es durch Freude, sei es durch Leid.« In München verdient sie sich ihren Lebensunterhalt mit Sprachunterricht und Übersetzungen. Auch Isoldes ältesten Bruder Edgar zieht es fort aus dem Schwäbischen. Er, von Beruf Arzt, macht in Florenz eine Praxis auf und ist dort so erfolgreich, daß er in die Heimat telegrafiert: »Nachkommen!« Isolde, ihre Mutter und der jüngste, schwerkranke Bruder Balde sind nach kurzem Überlegen bereit dazu. Deutschland, dies Land im neuen, preußischen Geist, wird ihnen ohnehin zu eng. Und zu ungeistig. Sie gehen das Wagnis ein, lösen ihren Haushalt auf und trauen es sich zu, im Ausland neu anzufangen. Immerhin ist Isoldes Mutter zu diesem Zeitpunkt bereits über fünfzig Jahre alt, Isolde steht vor ihrem 24. Geburtstag. Das letzte Erlebnis, das sie in Tübingen hat, prägt sich ihr für immer ein. Man begeht die vierhundertjährige Stiftungsfeier der Universität. Man braucht für den Festumzug eine »Muse«. Diese soll auf einem hochgetürmten Festwagen stehen und vier schwere Pferde am Zügel und sich selbst im Gleichgewicht halten. Keine ungefährliche Aufgabe, denn die Straßen der Stadt sind eng, holprig und steil. Wer anders als Isolde Kurz könnte eine solche Aufgabe meistern? Auf Drängen der Tübinger Professoren erklärt sie sich auch dazu bereit. In antikem Gewand, einen Lorbeerkranz in den Locken, führt sie auf dem Triumphwagen den Festzug an. Lassen wir sie selbst erzählen, was daraufhin geschah: »Wie konnte ich so harmlos sein zu glauben, ich würde mir durch meine Gefälligkeit, von der das Gelingen des Schauzugs vorzugsweise abhing, den Dank und ein freundliches Andenken meiner Mitbürger verdienen? Gerade das Gegenteil geschah; als die Schaulust befriedigt war, brach die Verketzerung schlimmer aus als je.« So wird der Aus-Zug aus Tübingen für sie zu einem ganz persönlichen Triumph-Zug, den sie trotzig antritt.

Isolde Kurz in Florenz in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts: Die Stadt und die Menschen faszinieren sie. Dennoch muß sie erkennen, daß auch hier viele ihrer Wünsche sich nicht verwirklichen lassen. »Die Sitte« verbietet es jungen Frauen, sich ohne Begleitung auf der Straße zu bewegen. Überall erregt sie - zu allem Überfluß ist sie auch noch blond! - Aufsehen, wenn sie allein durch die Gegend streift. George Sand, die in Paris unter denselben Bedingungen lebte, zog sich Männerkleidung an, wenn sie durch die Stadt lief oder die Oper und das Theater besuchte. Isolde Kurz, so scheint es, ist dieser Gedanke nicht gekommen. Sie ist dennoch nicht einsam. Es gibt in jenen Jahren eine Art »geistige Familie« von Deutschen in Italien, mit denen sie Kontakt hat. So lernt sie zum Beispiel den Künstler Böcklin kennen und Gisela, die Tochter der von ihr hochgeachteten Bettina von Arnim. Trotzdem fühlt sie sich immer häufiger unnütz und eingeengt. Sie übersetzt und sichtet Romane für einen deutschen Verlag. Das füllt sie nicht aus. Wo liegt ihre eigene Ausdrucksform?

Für den kranken Bruder Balde schreibt sie Märchen, die bei Göschen in Stuttgart als Büchlein unter dem Titel »Phantasien und Märchen« erscheinen. Schön. Aber nicht genug. Sie erwägt, wieder nach München zu gehen und schreibt deswegen an den Schriftsteller Paul Heyse, einen Freund ihres verstorbenen Vaters. Der bietet ihr umgehend einen Posten an. Nicht etwa als Lektorin (wie sie gedacht hat) - sie soll in einem Büro Briefe tippen und die Buchhaltung übernehmen; abends kann sie sich ja dann mit eigener geistiger Arbeit befassen. Die Enttäuschung, wie sie von diesem »väterlichen Freund« eingeordnet wird, ist tief, sehr tief für Isolde Kurz. Sie ist inzwischen fast dreißig Jahre alt und, das muß sie sich selbst eingestehen, »nichts«. Sie weiß nicht einmal, in welche Richtung sie tasten könnte.

Vielleicht ist es Glück in einer unglücklichen Phase, daß sie nun ins Gespräch kommt mit einem Sonderling aus Deutschland, einem Maler namens Althofen, der die Ferien in Florenz verbringt. Er entwickelt die Idee, sie solle historische Skizzen über Florenz schreiben, zu denen er die Zeichnungen machen werde. Gleich vorweg gesagt: Aus dieser Idee wird nichts. Aber Isolde Kurz hat einen Anstoß bekommen. Sie ist nicht mehr aufzuhalten. Tag für Tag sitzt sie in der Bibliotheca Nazionale am »Damentisch«, wälzt Folianten und macht Auszüge. Aus der ursprünglich wissenschaftlichen Arbeit wird eine dichterische. Isolde Kurz schreibt »Florentiner Novellen« und »Italienische Erzählungen«, die später ihren Ruhm begründen werden (und die auch heute, fast hundert Jahre später, nichts von ihrem Reiz und ihrer Spannung verloren haben).

Über den Maler Althofen sagte sie: »Er war das Werkzeug gewesen, dessen das Schicksal sich bediente, um mich zu mir selbst zu führen.«

1889 erschien in Deutschland - Isolde Kurz blieb bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs in Italien - ein Gedichtband von ihr, kurz darauf kamen die Novellen heraus. »Der Empfang bei der Kritik«, registrierte die Autorin, »war der günstigste, man ging sogar von der damals noch weitverbreiteten Gewohnheit ab, jede Besprechung eines Buches aus Frauenfeder mit Erörterung der Frage von dem weiblichen Hirngewicht einzuleiten und günstigsten Falles eine Ausnahme festzustellen.« So vollkommen »anders« als sonstige »schriftstellernde Weiber« wurde sie nun aber auch nicht behandelt. Als die »Ulmer Post« ihren Gedichtband vorstellte, versicherte in der Rezension ein Kritiker, man wisse aus bester Quelle, daß die Verfasserin sich nicht nur auf das Dichten verstünde, sondern auch auf Nähen, Stricken, Strümpfestopfen und andere löbliche Verrichtungen.

Den Gedanken, ein männliches Pseudonym anzunehmen (wie Karoline von Günderrode und George Sand und George Eliot und die Bronte-Schwestern das vor ihr taten), wies Isolde Kurz weit von sich: »Wie hätte ich den Namen meines Vaters verleugnen können, durch den ich mich zu der strengsten Forderung an mich selbst verpflichtet fühlte.«

Von ihrem Vater hat sie den Dichter-Begriff übernommen. Sie empfindet Dichtung als einen »schöpferischen Auftrag«. Sie ist ein Medium; »Stimmen« kommen zu ihr. Für sie als kreative Frau bedeutet das Verzicht auf Liebe zum anderen Geschlecht. Männer, so führt Isolde Kurz aus, die schöpferisch tätig sein wollen, brauchen eine »sorgliche Frauenhand, umhüllende Liebe«. Für Frauen aber gilt: »Zwei Götter können sich nicht nebeneinander vertragen. Der Eros will seine Beute ganz und der Genius ebenfalls... Und der Eros bringt für die Frau unausweichlich die Dienstbarkeit mit, das Wesen des Genius aber ist Freiheit.«

Nur wenn ich ehelos bleibe, kann ich mir meine schöpferische Freiheit bewahren - auf diese Formel hat sich Idolde Kurz geeinigt.

»Nein, dieses Kind sollte nicht dem gemeinen Los der Weibheit verfallen, sie war zu gut für den Alltag der Ehe, den niederen Dienst der Fortpflanzung.« Das ist ein Satz aus ihrem Roman »Vanadis«, und er bezieht sich auf die Titelfigur, die sehr deutliche autobiographische Züge hat. Isolde Kurz hat in der Tat den »Alltag der Ehe« nie kennengelernt und ist auch nicht Mutter geworden. Es ist interessant und merkwürdig, ihre Texte heute unter diesem Gesichtspunkt zu lesen. Ihre Novellen, die in der Florentiner Renaissance spielen, wirken ursprünglich, packend. Wenn sie sich aber an »moderne Frauenschicksale« (wie sie es ausdrückt) heranwagt, berührt das peinlich, abstoßend. Zwei Beispiele: In der Erzählung »Der strahlende Held« stellt sie ein »Bräutchen« in den Mittelpunkt, das von Kindheitstagen an einen fernen Geliebten anbetet, einen viel älteren Mann, auf den sie wartet. Sie: eine »junge Göttin«. Er: einer, der »schon bald unter seinem steinernen Ehrenmal schläft«. Der letzte Satz der Erzählung lautet:

»Aber strahlende Helden können immer wieder einmal aufstehen und die Herzen kleiner Mädchen an sich nehmen.«

Das zweite Beispiel:

Die Hauptfigur im Roman »Vanadis« (der 1931 erschien) ehelicht einen viel älteren Mann, ihren Paten, der sie, das hat er sich geschworen, körperlich nicht berühren, ihr aber die Welt eröffnen will. Und Vanadis erweist sich dieser Tat würdig; sie verzichtet auf ihr eigenes Liebesleben. Isolde Kurz, die manche Erfahrungen in ihrem Leben ausließ (oder sie daraus verdrängte), wirkt geradezu weltfremd, wenn sie sich über Liebe und Leidenschaft bei Frauen und Männern ihrer Generation äußert.

Hellwach und kritisch dagegen ist sie, wenn sie historische Stoffe anpackt. So hat sie ein Gedicht »Die Kinder der Lilith« geschrieben und veröffentlicht. Sie knüpft an die Urgeschichte an, nach der Adam eine erste, ihm ebenbürtige Frau gehabt haben soll, die sich jedoch weigerte, ihm zu dienen. Lilith ist nicht aus Adams Rippe gemacht, sondern aus Erde, wie er auch. Sie ist seine Gefährtin, »eine leichte, mit Sternen wie mit Seifenblasen spielende«, die den erdenschweren Adam zum schöpferischen Tun anspornt. Er aber beklagt sich über ihren unsteten Charakter. Also bekommt er - aus seiner Rippe geformt - noch eine zweite Frau, Eva. Die ist schön und üppig. Isolde Kurz: »Nur eines fehlt, ein Fehler und ein Glück, kein Hirn in diesem zarten Rippenstück.« Adam ist entzückt von diesem Typus Frau. Lilith flieht, entflieht, so schnell sie kann.

Als dieses Gedicht der Isolde Kurz erscheint, gerät sie in ein Kritiker-Gefecht wie nie zuvor. »Ich hatte wieder einmal ahnungslos in ein Wespennest gestochen«, schreibt sie in ihrer Lebensrückschau. »Ich wußte ja gar nicht, daß die Wespen der rückständigen Männlichkeit noch soviel Gift in ihren Stacheln hatten.«

Nicht nur »rückständige Männlichkeit« ist ihr ein Hindernis. Auch Frauen machen ihr das Leben schwer. Sie wohnt in Florenz noch immer mit ihrem ältesten Bruder und ihrer Mutter zusammen. Und? Edgar, der Bruder, hat mittlerweile geheiratet. Er und seine Frau, das »junge Paar«, haben Besitz von der Wohnung ergriffen. Isolde kommt kaum noch zum Nachdenken oder Schreiben. Sie flüchtet sich in Mietzimmer und Pensionen, wo sie in Ruhe Maupassant lesen will (über den sie später sagte, daß er der einzige zeitgenössische Erzähler war, von dem sie das Handwerk lernte). Und wie reagiert Mane Kurz, die Dichter-Gattin, auf die zunehmende Nervosität ihrer Dichter-Tochter? Ihrem Mann hat sie äußere Unruhe ferngehalten. Denn er war ein Mann »und gehörte dem Werk«. Bei einer Frau jedoch sind andere Maßstäbe anzusetzen. Isolde Kurz hat das - sehr deutlich - von ihrer Mutter zu spüren bekommen. Mane Kurz fand es unerträglich, wenn ihre Tochter keine Zeit für sie hatte. Dichterisch-genial sollte sie sein, das bewunderte die Mutter. Aber: »Wenn sie schon Mannwerk tut, so muß es nebenher geschehen, ohne die dem Mann zustehenden Rücksichten und Rechte, und wenn ihr das Wunder gelingt, so wird es von niemand als ein solches angerechnet.« So hat Isolde Kurz zusammengefaßt, unter welchen Bedingungen ihre schriftstellerischen Arbeiten entstanden.

Sie kam 1912, nach dem Tod ihrer Mutter, nach Deutschland zurück. 1913 erhielt sie, die nie eine Schule hatte besuchen dürfen, die Ehrendoktorwürde.

Als der Erste Weltkrieg ausbrach, ließ sie sich mitreißen von der »glühenden Bereitschaft zum Opfer« und der »neuerkannten Heiligkeit des Daseins«. Sie gab einen Gedichtband »Schwert aus der Scheide« heraus und schrieb für den Bund Deutscher Frauenvereine das Gedicht »Die deutsche Mutter«, das so beginnt:

Mutter, wann kehrt der Vater nach Haus?
- Wann die Ernte geholt unser Fleiß.
Er zog zum Ernten nach Frankreich hinaus,
Dort sichelt er rot und heiß.

Später gab sie zu, daß sich ihr beim Schreiben dieser Zeilen die Feder gesträubt habe. Später warf sie sich vor, daß sie »das Ungeheuere mit williger Seele begleitet hatte«. Verhindern konnte sie nicht (oder wollte sie nicht?), daß im Zweiten Weltkrieg genau diese Schwert- und Mutterverse wieder herausgesucht und in volkstümlichen Sammlungen und Ausgaben für den Schulgebrauch als ihre »Meisterwerke« neu aufgelegt wurden.

»Die Gedichte >Schwert aus der Scheide< und >Die deutsche Mutter< sind in ihrer Dringlichkeit wie Nornenlieder des deutschen Volkes, denn in ihnen steht das deutsche Schicksal!« heißt es zum Beispiel im Vorwort zu einem Band mit Texten der Isolde Kurz, der 1941 erschien.

»Die Welt gehört dem Mann. Wo die Frau eintreten will, muß sie Torgeld bezahlen, und jeder will von ihr, was sie allein geben kann... Ihrem Geschlecht bleibt gar nichts übrig, als sich zu verkaufen, immer und überall.«

Das sind Sätze aus »Vanadis«, dem Roman, den Isolde Kurz »Schicksalsweg einer Frau« nannte.


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